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AUF DER SUCHE NACH DEM

WAHREN, SCHÖNEN UND GUTEN

Kindgerecht



Eine meiner absoluten Lieblingsbeschäftigungen ist es, meinen Kindern vorzulesen. Vor dem Schlafengehen, aber auch immer wieder zwischendurch über den Tag verteilt. Sie können gar nicht genug davon haben – und ich auch nicht.


Wenn man in einem Buchladen in der Kinderabteilung stöbert, wird man sich mit allerlei spezifischer Altersangaben konfrontiert sehen: Da gibt es Bücher ab 12 Monaten, 24 Monaten, ab drei Jahren, für Vor- und Grundschulkinder und so weiter. Alles ist ganz korrekt alters- und sprachgerecht sortiert. Das hat ja auch erstmal seine Richtigkeit, schließlich möchte man so den Eltern eine Orientierung bieten, welche Bücher denn genau für das Alter ihres Sprösslings in Frage kämen.


Und dennoch breche ich mit meinen Kindern bewusst immer wieder aus diesen Kategorien heraus, etwa wenn ich mit unserer ältesten Tochter vor kurzem den Quijote in einer Version für ältere Schulkinder gelesen habe oder wir uns gerade mit den schönsten Geschichten der griechischen Mythologie beschäftigen. Sie liebt es und bettelt nach jedem Kapitel um ein Weiteres.


Da mag man sich fragen: Ist das kindgerecht? Nun, es ist ebenso (wenig) kindgerecht wie die mitunter bestialischen Grimms Märchen oder viele Bibelgeschichten. Auch Jesu Tod am Kreuz ist nicht „kindgerecht“ – und dennoch sollten wir ihn unseren Kindern nicht vorenthalten.


Ich fürchte mich weniger davor, meine Kinder zu überfordern, als vielmehr, sie zu unterfordern. Eröffnet uns nicht gerade die Beschäftigung mit dem viel Größerem als wir eine ganz neue Welt? Ich erinnere mich noch, wie ich mit acht Jahren zum ersten Mal Tschaikowskys Violinkonzert hörte und so berührt war, dass ich anfing zu weinen. Ich wußte damals sehr wenig über den Komponisten und noch weniger über die Harmoniefolgen, die ich gerade hörte, aber das war völlig gleich. In diesem Moment verstand ich viel von der Musik, erfasste das Wesentliche.


Auch in der Heiligen Messe entwickelte ich sehr früh ein Gefühl für das Heilige, folgte ehrfürchtig dem Geschehen, obwohl ich vieles nicht begriff. Manchmal gingen mein Bruder und ich auch in den Kindergottesdienst, aber meine Eltern nahmen uns meistens einfach mit in die Heilige Messe. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar und genauso machen wir es mit unseren Kindern.


Gelegentlich wundere ich mich, wie wenig ihnen im Kindergottesdienst zugemutet wird, wie platt oft die Lieder sind und wie seicht die Geschichten. Dabei sind Kinder doch so aufnahmefähig, wissbegierig und weltoffen!


Da gilt es, diese wertvolle erste Zeit gut zu nutzen und unseren Kindern genug Nahrung für ihre geistliche und seelische Entwicklung anzubieten, um ihnen auf diese Weise gerecht – eben kindgerecht! - zu werden.

 

Dieser Beitrag erschien in gekürzter Form am 13. Februar 2020 in der katholischen Wochenzeitung "Die Tagespost".

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