
Keuschheit ist eines jener Wörter, die völlig aus der Mode gekommen sind. Keusch zu sein erscheint den meisten weder attraktiv noch erstrebenswert. Dabei geht die Keuschheit uns alle - die Alleinstehenden, Verheirateten genauso wie die Gottgeweihten oder Priester – etwas an.
Das deutsche Wort „keusch“ leitet sich vom lateinischen „conscius” ab und bedeutet soviel wie „bewusst“. Freilich ist Keuschheit nicht mit Enthaltsamkeit gleichzusetzten, sondern berührt unser Menschsein weitaus allumfassender.
Im Katechismus wird es wie folgt auf den Punkt gebracht: „Keuschheit bedeutet die geglückte Integration der Geschlechtlichkeit in die Person und folglich die innere Einheit des Menschen in seinem leiblichen und geistigen Sein“ (vgl. KKK: 2337). Nur wenn wir lernen, statt Sklaven unserer Triebe wahrhaft Herr über unseren Körper zu sein, können wir wirklich frei sein und uns gegenseitig „bewusst“ hingeben.
Wir können nie früh genug anfangen, uns in der Tugend der Keuschheit zu üben. Ich hätte nie gedacht, welch wichtige Rolle sie nicht nur im Hinblick auf das Eheleben, sondern auch mittendrin spielt. Als Jugendliche verschlang ich Bücher wie „Ungeküßt und doch kein Frosch“ von J. Harris und war fasziniert von der Theologie des Leibes von Papst Johannes Paul II.
Ich erinnere mich, wie die Mutter meiner besten Freundin mich sinnbildlich fragte, ob ich nicht auch eine neue, schön eingepackte Schokolade einer bereits geöffneten, angebissenen vorziehe. Dieses Bild blieb in meinem Kopf haften: Ich wollte eine unangetastete Schokolade für meinen künftigen Ehemann sein!
Als ich dann aber in meiner ersten Beziehung war, merkte ich, dass das schwieriger und die Versuchung größer als gedacht war. Und auch mit meinem zukünftigen Mann hatten wir in den drei Jahren unserer Verlobung viele Weichen zu stellen und viele Kämpfe auszutragen. Reichlich Kraft und Gnade erfuhren wir dabei immer wieder im Heiligen Sakrament der Beichte. Rückblickend können wir sagen: Es hat sich gelohnt, zu warten!
Doch hatten wir gedacht, diese Art von Schwierigkeiten gehörten mit dem Tage unserer Eheschließung der Vergangenheit an, wurden wir eines Besseren belehrt – auch im Ehealltag gibt es unzählige Gelegenheiten, die Tugend der Keuschheit zu üben. Da wären die vielen kleinen Phasen der Enthaltsamkeit in der natürlichen Familienplanung, doch auch die ausgeprägt langen Phasen, die wir etwa nach den Geburten oder nach meinen Hüftoperationen gemeinsam durchstehen mussten.
Auch bleibt es eine lebenslange Aufgabe, die Bedürfnisse des Anderen zuvorderst zu stellen und das größte Glück darin zu finden, sich selbst ganz zu verschenken. Nein, Keuschheit ist nicht verstaubt und verbohrt, sondern zeitlos aktuell und anziehend schön!
Dieser Beitrag erschien in gekürzter Form am 31. Oktober 2019 in der katholischen Wochenzeitung "Die Tagespost".