
Wir erwarten zurzeit unser viertes Kind. Eine der häufigsten Fragen, mit denen man als Schwangere konfrontiert wird, ist jene nach dem Geschlecht des Kindes. Und im Anschluss gleich die gutgemeinte Feststellung: „Egal, ob Junge oder Mädchen – Hauptsache, gesund!“.
Ohne Frage ist die Gesundheit ein hohes Gut und wir sind als Eltern auch zutiefst dankbar über unsere ersten drei kerngesunden Mädchen. Dennoch bringt mich diese Feststellung immer wieder zum Nachdenken – ist das Gesundsein wirklich die Hauptsache? Was, wenn unser Baby nicht gesund ist?
Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir kaum noch mit kranken oder behinderten Kindern in Berührung kommen, geschweige denn, mit ihnen umgehen können. Die meisten werden bereits im Mutterleib getötet – neun von zehn Schwangeren etwa entscheiden sich hierzulande bei der Diagnose Down-Syndrom für die Abtreibung ihres Kindes. Die Pränataldiagnostik spürt immer präziser und immer früher Fehler im Erbgut des Fötus auf – und stellt die Eltern dann vor folgenschwere Entscheidungen.
Deshalb haben wir uns von Anfang an gegen jegliche Tests entschieden, die doch ein vermeintliches Sicherheitsgefühl vorzugaukeln scheinen. Wir möchten unser Kind so annehmen, wie Gott es uns schenkt, und vertrauen auch darauf, dass Er uns die Kraft gibt, wenn etwas anders kommt als erhofft.
Als ich mit meiner Ältesten regelmäßig eine Krabbelgruppe besuchte, machte ich eine einschneidende Erfahrung. Eine der Mütter war kurz davor, ihr viertes Kind zu bekommen. Alles schien in Ordnung und auch bei jeglichen Tests, die sie hatte durchführen lassen, waren keine Auffälligkeiten gefunden worden. Und dann bei der Geburt das völlig Unerwartete: ihr Baby hatte Down-Syndrom!
Was mich allerdings schockierte, war, dass sie sich erst gar nicht mehr traute, mit ihrer Tochter in unsere Krabbelgruppe zu kommen. Und auch die Reaktionen der anderen Mütter, die nachbohrten, ob sie sich denn auch wirklich allen Tests unterzogen hätte, um sie anschließend freizusprechen: „Dann ist das ja wirklich nicht deine Schuld.“ Wie bitte? Ansonsten wäre es ihre „Schuld“ gewesen, es zu wagen, sich für ein Kind mit Downsyndrom zu entscheiden? So wird das vermeintliche Recht auf ein gesundes Kind schnell zu einem verpflichtenden Gebot.
Als ich dann mit besagter Mutter ins Gespräch kam, erzählte sie mir von der ohnehin enormen Belastung für ihre ganze Familie und der hinzukommenden Schwierigkeit, dass ihr weder von ihrem Umfeld noch von der Gesellschaft keinerlei Anerkennung oder Unterstützung entgegengebracht wurde.
In diesem eiskalten, berechnenden Klima ist es eine große Aufgabe für jeden von uns, das Menschliche, ja, den Menschen wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Und wenn mir jemand wohlwollend „Hauptsache, gesund!“ zuruft, entgegne ich gerne: „Hauptsache, geliebt!“
Dieser Beitrag erschien am 27. August 2020 in der katholischen Wochenzeitung "Die Tagespost".